Das Verhalten eines Menschen in der Kunst ist geprägt durch verschiedene Prinzipien, die er an seiner Sicht der Welt festmacht. Solche Prinzipien legt er explizit oder implizit an den Prozessen seiner Kunst an. Oft sind solche Prinzipien auch für ganze Künstlergruppen gültig. Bereits um 1925 gab es im „Neuen Sehen“ sehr unterschiedliche Gruppen mit sehr unterschiedlichen künstlerische Weltbildern (Neue Sachlichkeit, Konstruktivismus, Surrealismus, …) und sehr unterschiedlichen fotografischen Konzepten.
Alexander Rodtschenko: Konstruktivismus und russische Avantgarde
„Ich will ein paar unglaubliche Aufnahmen machen, die niemals zuvor gemacht wurden. Aufnahmen vom Leben, absolut real, Fotografien, die einfach und komplex zugleich sind, die Menschen erstaunen und überwältigen“
Alexander Rodtschenko (am Anfang)
„Ich möchte mich entschieden davon lossagen, Formales in der Behandlung eines Themas an die erste und inhaltliches an die zweite Stelle zu setzen – und ich will gleichzeitig forschend nach neuen Schätzen fotografischen Ausdrucks suchen, um Werke zu schaffen, die auf hohem politischen und künstlerischen Niveau stehen, Bilder, in denen die fotografische Sprache völlig dem sozialistischen Realismus dient.“
Alexander Rodtschenko (dazwischen)
„Ich bin absolut nutzlos, ob ich arbeite oder nicht, ob ich lebe oder nicht. Ich bin jetzt schon so gut wie tot, und ich bin der einzige, den es interessiert, dass ich lebe. Ich bin ein Unsichtbarer.“
Alexander Rodtschenko (am Ende)
Albert Renger-Patzsch: Neue Sachlichkeit
„Der fotografische Gegenstand erfordert eben jeweils eine bestimmte Art der Wiedergabe: eine bestimmte das Modefoto, eine andere das Portrait, wieder eine andere das aktuelle Foto. Den wirklich guten Fotografen erkennt man daran, daß er den Gegenstand zum sprechen bringt, nicht sich selbst zeigt.
Und so handelt es sich eigentlich nur darum, den Gegenstand zu erkennen, dann die fotografischen Mittel zu wählen, die seine wirksame fotografische Darstellung erfordert.“
„Das Geheimnis einer guten Photografie, die künstlerische Qualitäten wie ein Werk der bildenden Kunst besitzen kann, beruht in ihrem Realismus. Um Eindrücke, die man vor der Natur, der Pflanze, dem Tier, vor den Werken der Baumeister und Bildhauer, vor der Schöpfungen der Ingenieure und Techniker empfindet, wiederzugeben, besitzen wir in der Photographie das zuverlässige Werkzeug. Noch zu wenig werden die Möglichkeiten geschätzt, die gestatten, den Zauber des Materials wiederzugeben. Die Struktur von Holz, Stein und Metall wird in ihrer Eigenart so hervorragend dargestellt, wie es mit den Mitteln der bildenden Kunst niemals geschehen kann.“
„Was die Fotografie von der Kunst scheidet, ist, daß sie auf den Gegenstand angewiesen ist. Selbst wenn wir die Versuche von Man Ray, Moholy-Nagy und manchen Neueren, die Fotografie für das Abstrakte brauchbar zu machen, betrachten, so sehen wir bald, daß es Versuche ohne Kamera bzw. ohne Objektiv sind, die aber auf den Gegenstand meist nicht verzichten können, nur wird versucht, den Gegenstand seines realen Charakters zu entkleiden. Worin der Vorteil solcher Übungen besteht, die übrigens meist von Künstlern ausgehen und warum nicht die Malerei und die Zeichnung, die das besser leisten kann, verwandt wird, das ist wirklich schwer einzusehen.“
Albert Renger-Patzsch, 1953 in Fotoprisma, S. 444f.
Man Ray: Dadaismus und Surealismus
„Die Natur schafft keine Kunstwerke. Wir sind es und die Fähigkeit zur Interpretation, die dem menschlichen Geist eigentümlich ist, die Kunst zu sehen.“
“Ich fotografiere nicht die Natur. Ich fotografiere meine Visionen.”
“Es war nie meine Absicht, meine Träume festzuhalten, sondern der Beschluss, sie zu realisieren”
Man Ray
Stilübung
Machen Sie sich ihr fotografisches, künstlerisches, politisches, philosophischen, … Weltbild klar und überlegen sie, wie es ihre Art zu fotografieren beeinflusst!
Sind sie eher ein Renger-Patzsch und haben einfach Freude am Fotografieren, wollen die Dinge einfach und real abbilden, wie sie sind, ihre Strukturen sichtbar machen und auf ihre Ästhetik hinweisen, wie es viele Vertreter der Neuen Sachlichkeit und der Reinen Fotografie getan haben?
Oder sind sie eher ein Rodtschenko, der leidenschaftlich mit der Kamera gegen eine gesellschaftliche Katastrophe anfotografiert, neue Wege beschreitet, gegen den Rest der Welt anfotografiert und am Stalinismus scheitert?
Oder mögen sie es eher subjektiv?
…?
Walter Benjamin hat der Neuen Sachlichkeit abgesprochen Kunst zu sein. Es gibt aber keinen objektiven Standpunkt, der ein solches Urteil rechtfertigen könnte.
Machen Sie sich deshalb ihre eigenen Gedanken, warum sie fotografieren und wie sie fotografieren wollen!
Für Albert Renger-Patzsch, dem ich den Walk Fotografie am 5. August 2018 widme, waren folgende Kriterien entscheidend:
Für Alexander Rodtschenko, dem ich den Walk Fotografie am 1. Mai 2017 widme, waren folgende Kriterien entscheidend:
Wahrhaftigkeit
#Weltbild:Wahrhaftigkeit
Wahrhaftigkeit bringt das Verhältnis eines Menschen zur Wahrheit oder Falschheit zum Ausdruck. Wahrhaftigkeit ist – anders als die Wahrheit – ein Prozesskriterium, da Wahrhaftigkeit die Denkhaltung eines Menschen bezeichnet, der nach Wahrheit strebt. Ein wahrhaftiger Mensch oder ein wahrhaftiger Prozess kann durch einen Irrtum Falsches hervorbringen. Eine Person oder ein Prozess ist aber nur dann wahrhaftig, wenn er die Bereitschaft zum Zweifel mit sich bringt, die bereit ist, jede Wahrheit zu überprüfen.
Aufklärung
#Weltbild:Aufklärung
Aufklärung beruft sich auf die Vernunft, nutzt die Erkenntnisse der Natur- und Ingenieurwissenschaften, kämpft gegen Vorurteile und plädiert für religiöse Toleranz. Gesellschaftspolitisch zielte die Aufklärung auf mehr persönliche Handlungsfreiheit, Bildung, Bürgerrechte, allgemeine Menschenrechte und das Gemeinwohl als Staatspflicht. Die Vertreter der Aufklärung strahlen den Optimismus aus, dass eine an der Aufklärung orientierte Gesellschaft die Hauptprobleme menschlichen Zusammenlebens schrittweise immer besser lösen wird.
Konstruktive Kunst
#Weltbild:KonstruktiveKunst
Eine Kunst, die nicht dafür gedacht ist, in Museen, in Galerien, in Fürstenhäusern, bei Sammlern, ausgestellt oder eingelagert zu werden, sondern eine Kunst, die in Magazinen, Zeitschriften, der Werbung, bedruckten Stoffen, Schnittmustern, Collagen, etc. ins Leben einer klassenlosen Gesellschaft eingeht und zu der alle Menschen Zugang haben. Konstruktive Kunst in diesem Sinne ist bis heute eine (naive) Utopie, weil es bis heute keine klassenlose Gesellschaft gibt, wenn es um die Kunst geht, obwohl sich die gesellschaftlichen Verhältnisse seit der russischen Avantgarde und dem Bauhaus verbessert haben.