Für welche Vernunft man sich auch entscheidet, am Ende steht immer eine persönliche Entscheidung. Und es bleibt immer auch ein Raum für Wünsche an eine zukünftige, bessere Vernunft.
Ich bin seit meiner Kindheit mit den Zahlen 12 und 13 sowie mit dem Buchstaben „M“ innig verbunden. Der Buchstabe „M“ ist sowohl der 13. Buchstabe des Alphabets als auch der Anfangsbuchstabe meines Nachnamens. Der Übergang von der 12 zur 13 steht für mich für den Wechsel von der eingeschränkten Vernunft eines klassischen Rationalismus zu einer neuen, erweiterten Vernunft. Dem Übergang zu einer erweiterten Vernunft habe ich einen Namen gegeben; einen Namen, den auch mein Atelier für Philosophie trägt: Carpe Diem et Noctem. Das Foto „12 M“ bildet den Ausgangspunkt für die Serien „Die Wandelhallen des ewigen Donners“. Das Bild löst bei mir viele Erinnerungen an längst zurückliegende Zeiten aus. Die Carlo-Schmid-Brücke verbinde ich seit vielen Jahren mit den Zahlen 12 und 13. Der Bau der Brücke startete im Jahr 1972 als ich 12 Jahre alt war und endete im Jahr 1973. Seither zieht es mich immer wieder an diesen Ort zurück. Manchmal gehe ich nur hindurch, manchmal sitze ich unter der Brücke und halte für einen Moment inne.
Seit einigen Jahren ist unter meiner Brücke auf den Neckardamm auch die Zahl 12 in riesigen Ziffern weithin sichtbar aufgesprüht. Die Zahlen 12 und 13 spielen in vielen Kulturen eine Rolle. Wenn man im Internet nach dem chinesischen Kalender sucht, findet man folgende Geschichte: »Buddha lud einst alle 13 Tiere der Tierkreiszeichen zu einem Fest ein. Die Katze gehörte ursprünglich auch dazu. Die Maus erzählte jedoch der Katze, dass das Fest einen Tag später stattfinden würde. Die Katze legte sich schlafen und träumte vom Fest. So kam es, dass nur zwölf Tiere, alle außer der Katze, zum Fest kamen. Das erste Tier war die Ratte (Maus), ihr folgten der Büffel (das Rind), der Tiger, der Hase, der Drache, die Schlange, das Pferd, die Ziege (das Schaf), der Affe, der Hahn (das Huhn), der Hund und schließlich das Schwein. Jedes Tier bekam ein Jahr geschenkt, und er benannte es nach ihm. So erhielt die Ratte das erste, der Büffel (das Rind) das zweite, der Tiger das dritte Jahr und das Schwein schließlich das zwölfte. Dies geschah in der Reihenfolge, in der sie gekommen waren. Alle erklärten sich damit einverstanden. Da die Katze nicht kam, wurde ihr auch kein Jahr zugeteilt, und (sie) wurde somit ausgeschlossen.«
Seit jener Zeit wiederholt sich der chinesische Kalender in 12er und 60er (12*5) Jahreszyklen. Auch in der jüdischen und der christlichen Kultur spielt die Zahl 12 eine große Rolle. Die zwölf Stämme Israels bilden das von Gott erwählte Volk und auch Jesus wählte zwölf Apostel; sehr oft steht die Zahl 12 für die vernünftige Wahl. Für mich hat sich die 12 zu einem Symbol für die vernünftige Wahl im klassischen Rationalismus entwickelt, einem Rationalismus der suggeriert, es gäbe für ein Problem eine beste Lösung oder für eine Entscheidung eine beste Wahl. Der klassische Rationalismus beginnt für mich mit Aristoteles und der Nikomachischen Ethik. Seither bewegen sich abendländische Philosophen – bewußt oder unbewußt – in der von ihm entwickelten Systematik. Die Nikomachische Ethik hat über zwei Jahrtausende nichts von ihrem ursprünglichen Glanz eingebüßt. Dafür mag es unzählige Gründe geben. Für mich persönlich ist die vollständige Systematik, mit der Aristoteles die ganze Thematik erfasst, der Hauptgrund. Es gibt wenig Philosophen, die eine vergleichbare Systematik erreicht haben und ich kenne nur einen davon persönlich: Hans Albert.
Hans Albert hat viele Jahre an der Universität Mannheim gelehrt und dabei den Kritischen Rationalismus, der von Karl Popper entwickelt wurde, zu einer neuen Vernunft geformt, die sich von Poppers Logik der Forschung in vielen Details wohltuend unterscheidet. Die Albertsche Variante des Kritischen Rationalismus ist — wegen ihres kritischen Realismus — die einzige Philosophie, der ich mich gerne anschließen würde, weil sie mehr als jede andere Position, um eine neue Vernunft bemüht. Deshalb kommt Hans Albert zu Wort, wenn in den Wandelhallen des ewigen Donners Argumente mit der aristotelischen Waage der Vernunft abgewogen werden.
Am Ende steht immer eine persönliche Entscheidung. Und es bleibt immer auch ein Raum für Wünsche an eine zukünftige Vernunft.