Die Wahrnehmung der Welt und die Selbstwahrnehmung
begegnen sich im Dazwischen
von Ralf Jochen Moser
Die gemeinsame Arbeit ‹ Balkonien › von Jaana Rau und Mattania Bösiger setzt sich mit dem Innen, dem Außen, dem Nahen, dem Fernen und dem Dazwischen auseinander. Sie untersuchen ihre eigene Malerei mit fotografischen Mitteln und erzeugen – ausgehend von ihren Unikaten – Auflagenkunst und Grafik. Ihr gemeinsam entwickelter künstlerischer Prozess erzeugt aus einem Bild von Rau und einem Bild von Bösiger ein Tryptichon, in dem es zwischen die beiden Bilder eine Collage aus beiden Bildern als Dazwischen setzt. Durch ihren künstlerischen Prozess schaffen sie eine Hierarchie, welche die Stufen des erzählerischen Kontextes für ihre Erzählungen aufbaut.
Der künstlerische Prozess beginnt auf der untersten Stufe mit der Entscheidung eine eigene kleine Serie von Malereien für die gemeinsame Arbeit zusammenzustellen. Das Format, die Größe, die Farbigkeit und die Rahmung der Bilder sollten gleich sein, um eine weitere Kommunikationsebene für die Bilder zu schaffen. Dann wurden die Unikate hochauflösend gescannt und bearbeitet, um die einheitliche Grundlage für die weiteren Bilder zu erzeugen. Die Collagen schaffen so die Ebene, auf der die neu geschaffenen Bilder zu Triptychen zusammengestellt oder als einzelne Bilder verwendet werden können. Eine weitere Stufe ergibt sich, aus den Entscheidungen zum Aufbau der Edition, die es ermöglicht die Unikate, die Bilder aus dem Künstlerbuch in der Größe von 30 mal 30 cm und die Bildedition mit den beiden Größen 60 mal 60 cm und 90 mal 90 cm zusammen für Ausstellungen zu kuratieren. So schafft die Arbeit weitere Ebenen für die kuratorische Arbeit mit der Edition und für die Kommunikation der kuratierten Ausstellung mit dem Betrachter – Ebenen, die zahllose Möglichkeiten für Kurator und Betrachter öffnen, mit der Edition zu arbeiten.
Der künstlerische Prozess brachte eine mehrstufige Konstruktion mit sich, die es Rau und Boesiger erlaubt, ihre künstlerische Praxis in der Malerei auf Parallelen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu untersuchen. Beide sehen die Welt mit einem eigenen Blick – bei Rau sind es Einflüsse, die in den Innenraum des Körpers gelangen und sich dort unter anderem auf das Körpergefühl auswirken, bei Bösiger dagegen digitalisierte Bilder, die durch die Medienwelt in unsere Innenräume, in das Private gelangen und sich dort mit den analogen Signalen der physischen Welt vermischen. Unterschiedlich ist dagegen die Blickrichtung, die bei Rau nach innen und bei Bösiger nach außen gerichtet ist.
Im Dazwischen, das sich durch die Collagen als Raum materialisiert, der beide Blickrichtungen vereint und der sich in der Mitte des Triptychons für ihre und unsere Untersuchungen öffnet; ein Raum, in dem sich private und öffentliche Räume, Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Nahes und Fernes, Vertrautes und Unbekanntes treffen und in dem sowohl die Selbstwahrnehmung als auch die Wahrnehmung der Welt kalibriert und geschärft werden können. Das Dazwischen präsentiert sich in dieser Form als Mittleres, als Wahrnehmungs- und als Kommunikationsmedium für die kuratierte Kommunikation mit dem Betrachter.
Wahrnehmungsmedien tauchen zum ersten Mal bei Aristoteles auf. Er entwirft ein System, in dem die Wahrnehmungsmedien zwischen der Welt und ihrem Betrachter vermitteln und ihm Erkenntnisse über die Welt ermöglichen. Er postuliert damit als Erster ein Dazwischen, das sich als Mittleres zwischen die Welt und den
Betrachter schiebt. In der Folge von Aristoteles wurde viel über das Dazwischen der Wahrnehmungsmedien spekuliert. Die Medien sollten in Verbindung zu den Elementen Wasser und Luft stehen, die wiederum mit dem Atem des Menschen assoziiert wurden. Später wurde aus dem Dazwischen der Äther und noch später wurde aus den Medien die Gesamtheit aller Träger physikalischer und chemischer Vorgänge. Als sich aus der Fotografie heraus immer mehr neue Medien zu Massemedien entwickelten, eroberte der Medienbegriff die Kommunikation und Medien wurden zu Informationsträgern.
Obwohl Medien in der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger treten, verhalten wir uns in der Alltagssprache und der Wahrnehmung so, als wäre uns die Welt unmittelbar gegeben. Wenn wir in einer Videokonferenz unser Gegenüber auf einem Bildschirm sehen und uns unser Gegenüber fragt, ob wir ihn sehen können, dann antworten wir: ‹ Ja, ich sehe Sie ›. Wir haben uns so an unsere Wahrnehmung, unser Denken und unsere Sprache gewöhnt, dass wir mit Leichtigkeit übersehen, dass wir niemals einen unmittelbaren Zugang zu irgendetwas haben – weder zu Bildern, noch zur Sprache, noch zur Realität und auch nicht zu uns selbst. Immer treten Modellbildungen als Mittleres auf – egal, ob es sich dabei um wahrgenommene Sprache, wahrgenommene Bilder oder wahrgenommene Empfindungen des eigenen Körpers handelt.
Triptychen laden zu einem andächtigen Gespräch mit den eigenen Göttern oder zu einem meditativen Gespräch mit sich selbst ein. Die von Rau und Bösiger gewählten Themen und Geschichten befüllen ihre Konstruktion mit jenem Treibstoff aus den Weltbildern gemacht sind. Da sind einerseits Bösigers brennende Wälder, die uns einiges über den Kreislauf des Lebens, aber auch einiges über den Klimawandel, die Bedrohung von Ökosystemen und den Tod lehren können. Allseits präsente Medien, die uns ohne Unterlass Unheil und Katastrophen vermitteln, erlaubt uns keine Pause. Die Außenwelt dringt – wenn wir es zulassen – jederzeit ungefiltert in unseren privaten Raum hinein und lässt die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwinden. Da sind andererseits Raus innere Landschaften aus Zellen und Geweben, die unser inneres Ökosystem zeigen, das auch jene Keime, Einzeller, Viren, Bakterien und Pilze zeigt, die auf, in und mit uns leben. In Balkonien treffen unser inneres und unser äußeres Ökosystem aufeinander, wie auf einem Balkon sich der private mit dem öffentlichen Raum trifft.
In Balkonien führen viele Unwägbarkeiten wie in der realen Welt dazu, dass junge, erwachsene und alte Bäume, Zellen und sogar Ökosysteme sterben, durch allerlei Organismen zersetzt und dem Kreislauf des Lebens zurückgegeben werden. Aber Balkonien ist ein Platz, der zu einer kreativen Pause, zu einem Selbstgespräch und zu einem meditativen Betrachten der modernen Welt einlädt. Balkonien gewährt uns eine Pause von der Hektik der realen Welt. Es ist ein Urlaub bei uns zu Hause mit Blick auf die Unwägbarkeiten des Lebens und der realen Welt. Durch seine mehrstufige Konstruktion ist es prädestiniert, spielerisch und entspannt etwas über uns, das Leben, Gott und die Welt zu lernen.
Balkonien
Balkonien 1-18 | Druckgrafik | Fine Art Print | 60 x 60 cm oder 90 x 90 cm
Auflage: 10+3 AP
Preise 2024:
60 x 60 cm 750 plus 150€ für den Rahmen
90 x 90 cm 1500€ plus 290€ für den Rahmen
Rahmung: Halbe Classic, Alu 8, schwarz matt, entspiegeltes Museumsglas.
Balkonien 2, 4, 8, 10, 14, 16 | Mattania Bösiger | Ölfarbe auf Holzplatte
~25x25cm 900€ im Holzrahmen
Balkonien 1, 5, 7, 11, 13, 17 | Jaana Rau | Eitempera auf Holzplatte
~25x25cm 900€ im Holzrahmen