AiD ART M 2024 – Thomas Wunsch

Die Decodierung der Geheimnisse des Lebens oder die Sehnsucht nach etwas, das es nicht gibt

von Ralf Jochen Moser

Das Leben ist voller mystischer Geheimnisse und die Bilder der Arbeiten ‹Code› und ‹Code Black› von Thomas Wunsch sind es im Besonderen. Sie zeigen Symbole, Zeichen, Ziffern und Buchstaben, die Mythen und Geheimnisse zu beschwören scheinen. Wenn unser Geist mit der Decodierung der Zeichen beginnt, dann erzeugt er dabei fast automatisch immer neue Schöpfungsmythen für immer neue Geheimnisse; aber die Codierungen in den Fotografien von Thomas Wunsch entziehen sich einer finalen Decodierung, was die Geheimnisse vergrößert und den Mythen weiteren Raum gibt. Unser Bewusstsein wittert in den Fotografien Bedeutungen, weil geheimnisvoll immer auch bedeutungsvoll verheißt; aber je länger die Bilder betrachtetet werden, desto größer werden die Geheimnisse.
Vielleicht ist es nur eine angeborene Manie, in alles Sinn und Bedeutung hineinzuinterpretieren; eine Manie, die durch unseren Glauben an Sinn geschürt und bei ausbleibendem Erfolg mit Geheimnissen kaschiert wird. Wir gehen unserem Leben auf den Grund, entschlüsseln die Funktionen unserer Organe und die Konstruktion unseres Körpers, entschlüsseln die Codierungen unseres Erbguts und den Bauplan des Lebens – immer auch auf der Suche nach dem Schöpfer und Sinngeber. Dabei übersieht die Suche nach Sinn mit Leichtigkeit ein offen vor uns liegendes Geheimnis: die Suche nach einem gegebenen Sinn ergibt oft weniger Sinn, als dem eigenen Leben selbst Sinn zu geben. Es macht insbesondere dort Sinn, unseren Glauben zu hinterfragen, wo wir durch Beobachtungen etwas lernen können – vielleicht dreht sich die Sonne dann nie wieder um uns und die Erde.
Die Fotografien von Thomas Wunsch sind geheimnisvoll, weil sie – wie das Leben selbst – zu keinem idealen Sinn und keiner offensichtlichen Interpretation einladen. Die Fotografien sind real, weil er sie irgendwo auf der Welt entdeckt hat. Sie sind konstruiert, weil die Perspektive und der Bildausschnitt konstruktiv gewählt wurden. Sie enthalten erhebliche, weitgehende Korrekturen, wenn zum Beispiel Details nicht richtig ins Bild passten, weil sie womöglich zu viel Sinn ergaben.
Die Fotografien von Thomas Wunsch sind immer als Einzelbilder konzipiert und daher eher Sammlungen als Serien. Dennoch macht es Sinn, die Bilder für Ausstellungen zu gruppieren und sie beispielsweise als Triptychon zu kuratieren. Es kann unsere Aufmerksamkeit verstärkt auf jene Teile unseres Geistes lenken, der die Manie erzeugt, die uns dort glauben lässt, wo wir wissen könnten. Wenn wir dort Sinn suchen, wo möglicherweise keiner ist, immunisieren wir unseren Glauben mit Geheimnissen gegen besseres Wissen und eine aktive Sinngebung durch uns selbst. Egal wie viele Geheimnisse wir über das Leben gelüftet haben, immer werden neue Geheimnisse bleiben. Bei der Suche nach einem gegebenen Sinn vergessen manche gar, ihr Leben zu leben. Die Sehnsucht nach einem gegebenen Sinn hat einen hohen Preis, wenn sie sich nicht erfüllen lässt: sie kostet im wahrsten Sinne des Wortes das sinnvolle Leben.
Die Fotografien von Thomas Wunsch laden die Betrachterin und den Betrachter zu einem Selbstversuch ein, ihren Geist im Kontext der harmonischen Komposition der Bilder zu beobachten, wie er nach einem interpretierbaren Inhalt für die Codierung der Symbole, Zeichen, Ziffern und Buchstaben sucht. Da die Konstruktion und die Struktur der Bilder geradezu nach Sinn rufen, ergibt sich das Geheimnis, aus den vielen verschiedenen Interpretationen, die sich finden lassen.
Wie der Betrachter auf die Bilder reagiert, hängt von der Sozialisierung seines Geistes ab. Manche verfügen über einen ruhelosen Geist, der bis er erlischt, alles hinterfragt, aber dabei nicht mehr zur Ruhe kommt. Manche festigen ihren Geist deshalb durch einen gut begründeten Glauben. Manche brauchen darüber hinaus die Sicherheit einer Glaubensgemeinschaft und manche werden dabei gar das Opfer einer Manipulation.
In allen Fällen hat der glaubende Geist – egal, ob manipuliert oder nicht manipuliert – immer eine idealistische Programmierung, die ständig und überall nach der einen richtigen Interpretation, dem richtigen Weg, der richtigen Richtung, dem richtigen Denken oder der richtigen Methode sucht, an die er oder sie glauben will. Wer in den Bildern von Thomas Wunsch immer eine richtige Interpretation sucht, erlebt möglicherweise, wie die eigene idealistische Programmierung die Oberhand über die eigene Selbstbestimmung gewinnt.
Ein ruheloser Geist, in dem der Zweifel fester verankert ist als seine idealistische Programmierung, findet zwar seltener eine richtige Interpretation, kommt aber möglicherweise trotzdem nicht bei der Selbstbestimmung, sondern nirgends an. Es macht den Anschein, dass alleine der Glaube an die richtige Interpretation Sicherheit verleiht, auch wenn es sich dabei um eine vermeintliche, durch den eigenen Glauben hergestellte Sicherheit handelt.
Was lässt sich daraus lernen? Religiöse Idealisten lernen möglicherweise, dass die Suche nach den Idealen fest in uns verankert ist und sehen darin eine Bestätigung ihres Glaubens. Andere Idealisten lernen vielleicht, dass potenziell verschieden programmierte Denkweisen auch unterschiedliche Glaubenssysteme erzeugen können und auch erzeugen – was sich an den Streitigkeiten unter Idealisten über die richtigen Ideale erkennen lässt. Was sich lernen lässt, ist unbewusst oft durch das begrenzt, was wir lernen wollen.
Situationen, in denen wir ein Geheimnis wittern, laden gerade dazu ein, sich mit geistigen Strukturen, unbekannten Codierungen, analytischem Denken, uns selbst und jenen Prozessen zu beschäftigen, mit denen wir dazu lernen. Wer auf die Erkenntnisse der kybernetischen Modellbildung zu unserem Lernverhalten zurückgreift, erkennt, dass die Programmierung unseres Geistes insbesondere durch unser Lernverhalten geprägt ist.
Sehen, Hören, Schmecken, Riechen oder Tasten sind Funktionen unseres Geistes, die wir automatisch auf die richtige Weise erlernen, da Licht, Schall und unsere physikalische-chemische Realität sich für alle gleich verhält. Dadurch können sich Fehler beim Lernen automatisch korrigieren.
Sprechen, Denken, Gesichter oder Objekte erkennen sind dagegen Funktionen, bei denen sich ein Entscheidungs- und Interpretationsspielraum öffnet, der verhindert, dass es – objektiv betrachtet – nicht immer eindeutig richtig oder eindeutig falsch gibt. Funktionen mit Spielraum erlernen wir auf andere Weise, da bei Entscheidungen und Interpretationen Werturteile darüber entscheiden, ob eine Lösung ein Problem besser oder schlechter löst. Lediglich, wenn wir ein Problem in gleicher Weise aufstellen, betrachten und mit den gleichen Maßstäben alternative Lösungen vergleichen, werden wir uns möglicherweise über besser oder schlechter einig. Wie wir aus dem echten Leben wissen, sind solche Momente der Einigkeit seltener als der Glaube an ideale Lösungen.
Dort wo wir Regeln, Sinn und Interpretation selbst wählen können, führt der klassische Rationalismus, bei dem es für ein Problem genau eine richtige Lösung gibt, nur zum nie endenden Streit über die richtigen Lösungen und die richtigen Ideale. Lösen wir uns von einem solchen Rationalismus, dann können wir unseren Geist und uns selbst freier betrachten. Dabei spielen die Selbstbeobachtung und die Metaebenen des Lernens zentrale Rollen. Je mehr Ebenen der Selbstbeobachtung unser Geist besitzt, desto weniger ist er von den Widersprüchen in seinen eigenen Sprachspielen blockiert und desto bereiter ist er, über unsere Realität dazu zu lernen.
Vielleicht erkennt ein solcher Geist sogar, dass viele Widersprüche, Mythen und Geheimnisse sich auf fehlenden Metaebenen der Wahrheitsinterpretationen und falsche Verallgemeinerungen über Wertmaßstäbe zurückführen lassen.
Manche glauben bereitwillig etwas zu wissen, weil ihr idealistisch programmierter Geist es so bestätigt, wie sie es glauben wollen.
Die Fotografien von Thomas Wunsch bieten eine bessere Alternative als ein idealistischer Glaube, weil sie aus jenen Stoff sind, der jede und jeden einlädt, ihren eigenen Geist zu betrachten, die Ebenen der Selbstbeobachtung zu erweitern, das lernende Fortschreiten des eigenen Geistes wieder zu aktivieren und dabei trotzdem zur Ruhe zu kommen.
Die Bilder bieten ein ästhetisches, aber trotzdem neutrales Spielfeld, den eigenen Geist immer wieder auf die Probe zu stellen. Wer dabei den klassischen Rationalismus mit seiner Suche nach der richtigen, idealen Lösungen gehen lässt, kann die Sache in Zukunft vielleicht auf allen Gebieten entspannter angehen. Sie gestehen den Menschen zu, dass sie ihrem Leben einen unterschiedlichen, nicht vorgegebenen Sinn geben, weil sie das Problem ihres Lebens unterschiedlich aufstellen. Sie erkennen in idealistischen Sprachspielen versteckte Werturteile und sie widerstehen den damit verbundenen Interpretationen und Bevormundungen. Sie werden frei, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen, und suchen weniger nach einem vorgegebenen Sinn.

Code I.

Titel Code I. I.-X.
Auflage 6+1
Material Fine Art Print | 50 x 50cm oder 100 x 100 cm
Preise:
50 x 5 0 cm 1200 € (ohne Rahmen) oder 1320 € (inkl. Rahmen)
100 x 100 cm 4800 € (ohne Rahmen) oder 5120€ (inkl. Rahmen)
Rahmung Halbe, Alu 8 schwarz matt, Museumsglas

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Code Black One

Titel: Code Black One I. -X.
Auflage 6+3
Fine Art Print | 60 x 60 cm oder 90 x 90 cm
Preise:
60 x 6 0 cm 1800 € (ohne Rahmen) oder 1950 € (inkl. Rahmen)
90x 90 cm 4050 € (ohne Rahmen) oder 4350€ (inkl. Rahmen)
Rahmung Halbe, Alu 8 schwarz matt, Museumsglas

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